Rezensionen Diverse

Nagel, Zu den Grundlagen des islamischen Rechts, 1. Auflage, Nomos 2012


Prof. Dr. Tilman Nagel gilt als einer der führenden und angesehensten Islamwissenschaftlern unserer Zeit und verfügt über ein enormes Renommee und einen tadellosen wissenschaftlichen Leumund. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen, darunter auch der als Standardwerke geltenden Schriften Mohammed: Leben und Legende und Allahs Liebling: Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens. Nagel bezieht stets eindeutig Position und mahnt in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum kritischen Umgang mit dem Islam.

In der Reihe der Veröffentlichungen der Potsdamer Juristischen Gesellschaft erscheint als Band 14 die nunmehr vorgelegte Schrift Zu den Grundlagen des islamischen Rechts. Es handelt sich um eine kleine, 30 Seiten umfassende Schrift. Nach einer kurzen Einführung befasst sich die Abhandlung mit dem Ursprung der Scharia, ihrem Geltungsbereich und dem Verhältnis der Scharia zum Staatswesen. Nagel stellt fest, dass die Frage nach dem Ursprung der Scharia für einen gläubigen Muslim recht einfach zu beantworten ist: sie wurde durch Allah per Eingebung an Mohammed herabgesandt und regelt das gesamte Dasein des Gläubigen. In diesem ersten Abschnitt der Schrift liefert der Verfasser einen kurzen historischen Abriss über die Methodenlehre der Auslegung des göttlichen Gesetzes, was gerade für den interessierten Juristen von besonderem Interesse sein dürfte. Dabei wird glasklar herausgearbeitet, dass – auch heute noch – für die Auslegung des Korans und der darin enthaltenen Suren die Vorstellungen und Umstände der islamischen Urgemeinde zugrunde zu legen sind, wie sie zur Zeit des Todes des Propheten im Jahre 632 galten. Dadurch wird zugleich ein Manko offenbar: im Islam wird, anders als im westlichen Kulturkreis, die Religion nicht historisiert; die Lösung auch heutiger Probleme erfolgt aus der rückwärtsgewandten Sicht zur Zeit des Propheten hin. Eine Feststellung, die für das Verständnis des Islam von wesentlicher Bedeutung ist. Die krassen Unterschiede der Scharia zu den westlichen Rechtssystemen treten deutlich zu Tage. Die westlichen Regelungen sind menschengemacht und regeln eine konkrete Situation im Leben eines Menschen. Die Scharia leitet sich von Allah ab, ist unumstößliches göttliches Recht und regelt das Leben des Gläubigen ganzheitlich und allumfassend, sowohl für das Diesseits, inklusive aller Alltagssituationen, als auch das Jenseits. Nagel erläutert einige Grundbegriffe, die für das islamische Rechtsverständnis von Bedeutung sind, wie etwa Kadi, Sunna, Hadith und gibt einen Einblick in das Wertesystem der Scharia. Demnach werden Handlungen als Pflichten, empfehlenswert, zulässig, abscheulich und verboten eingestuft, welche entsprechend zu befolgen oder zu unterlassen sind und deren Nichtbefolgung oder Unterlassen belohnt oder bestraft werden kann. Als die fünf wichtigsten Grundgüter des Gemeinwesens gelten das Eigentum, die Abstammung, die Mannesehre, der Verstand und die richtige Religion (und ihre tägliche rituelle Ausübung). Die Scharia regelt daher zum einen die Religionsausübung selbst, sämtliche zwischenmenschlichen Beziehungen, sowie die Sühne und Strafe für Fehlverhalten. Im letzten Abschnitt der Schrift geht der Autor auf das Verhältnis zwischen Staat und Scharia ein, ein Kapitel, das einen sehr guten Einblick in die aktuelle politische Lage vieler arabischer Länder vermittelt. Bei Geltung der Scharia hat der Staatsapparat selbst nur wenig Handlungsraum und das mit totalem Geltungsanspruch ausgestattete göttliche Gesetz steht ohnehin über allem. Nagel mahnt, dass die in einigen arabischen Ländern eintretende „Demokratisierung“ lediglich dazu führen wird, dass die Scharia durch Ausnutzung des parlamentarischen Systems zu einer größeren und stärkeren Durchdringung innerhalb der jeweiligen Gesellschaft führen wird; und so, schreibt Nagel, „…erlangt der moderne islamische Staat somit eine zuvor nicht gekannte Machtfülle.“

Die Schrift ist hochinteressant, nicht nur für Juristen, aber gerade auch für sie. Nagel gewährt einen wertvollen fundierten und klar definierten Einblick in ein uns in der Regel nur aus Nachrichten und Schlagzeilen namentlich geläufiges, aber im Grunde völlig unbekanntes Wertesystem. Dieses wird vom Verfasser wissenschaftlich und objektiv dargestellt, jederzeit kritisch hinterfragt, seziert und kommentiert. Wer sich damit befasst, dessen Blickwinkel wird neu justiert, weg von der Verklärung, hin zu Problembewusstsein. Empfehlenswerte Lektüre.

 

12.03.2013



 

 

NJW Audio-CD, Beschlossen und verkündet!, 1. Auflage, C. H. Beck, 2010

 

Nach bereits erfolgreichen Titeln wie „Heitere Justiz“, „So ist´s Recht“, „Humoristisches aus der Justiz“ oder „Recht kurios und heiter: Urteile zum Schmunzeln“erscheint nunmehr die Audio-CD „Beschlossen und verkündet! Heitere Justiz“ mit neuen lustigen, teils hanebüchenen Geschichten aus bundesdeutschen Gerichtssälen. Dabei sind nicht stets nur die Entscheidungen skurril, als vielmehr die Beteiligten Protagonisten selbst. Sei es der überambitionierte Richter oder die völlig jenseits von Gut und Böse wandelnde Partei. Auch diesmal wird eine kunterbunte Mischung quer durch die heiligen Hallen der Republik geboten. In insgesamt 18 Tracks und einer Gesamtlaufzeit von ca. 40 Minuten offenbart sich mal wieder in vielseitiger Gestalt der Faktor Mensch.

 

Wie in dieser Reihe üblich, liegen der hörspielerischen Umsetzung nur Originalurteile zugrunde (Fundstellen im Inlay angegeben). Regional reicht der Inhalt von München nach Flensburg, von Saarlouis bis Coburg. Alle Instanzen sind vertreten, vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof. Jeder ist mal an der Reihe. Der Inhalt reicht vom Anwalt, der beim Durchlesen seiner eigenen Berufungsschrift einschläft, über geldfressende Haustiere, bis hin zur dämlichsten Ausrede eines Autofahrers für Telefonieren am Steuer. Vertreten ist ein Hund, der in der Abwesenheit seines Herrchens schier Unglaubliches zu tun imstande ist, sowie die Geschichte des Mannes, der ein Jahr lang täglich 400 Gramm (!) Lakritze gegessen hatte. Ein weiteres Highlight ist sicherlich auch „Regenwürmer und Umsatzsteuer“, bei der man am Ende laut loslacht.

 

Umgesetzt wurde das Hörspiel mit einer Rahmenhandlung, welche sich in einer Kneipe abspielt und welche wirklich erbärmlich schlechte Juristenwitze zum Gegenstand hat. Die Aufbereitung ist qualitativ sehr hochwertig, besetzt mit aus Hörfunk und Hörbüchern bekannten Sprechern, die das Ganze mit viel Einfühlungsvermögen, Charme und Witz beseelen. Hier lachen nicht nur Juristen. Eine nette CD, die man auf der Autofahrt zum Gericht zur Entspannung und Erheiterung einlegen kann. Vielleicht erkennt man auch, dass man mit seltsamen Ereignissen vor Gericht nicht alleine auf weiter Flur steht, sondern dass es anderswo genauso zugeht. Humorvolle Abwechslung.

 

08.12.2010

 

 

Seelmann, Rechtsphilosophie, 5. Auflage, C.H. Beck 2010

 

Das Buch erscheint nach 2007 in der Reihe „Grundrisse des Rechts“ in neuer Auflage und befasst sich im wesentlichen mit zwei Problemfeldern, nämlich der Frage, was „Recht“ überhaupt ist und was die „Kriterien des Richtigen“ sind. Wenn man so will, eine Unterscheidung in Rechtstheorie und Rechtsethik. Demnach ist das Buch auch in zwei Teile – A und B – aufgeteilt.

 

Klar dürfte sein, dass Recht alleine in Form staatlich gesetzter Regeln nicht funktioniert. Der Verfasser geht daher der Frage nach, ob und wenn ja, welches überpositives Recht existiert, welches eine Gesellschaft überhaupt dazu veranlasst, Regeln für ihr Zusammenleben aufzustellen. Mit dem vielleicht überraschenden (Zwischen-)Ergebnis, dass durchaus Gesellschaftsformen denkbar sind, die ein geringeres Rechtsetzungsbedürfnis haben als andere – je nachdem, aus welchem Grunde sich eine Gesellschaft zusammengefunden hat. Sehr anschaulich wird hier gerade der immerwährende Streit zwischen Positivisten und Naturalisten erläutert und auf seine Grundproblematik – der nicht zuletzt auch in Missverständnissen begründet liegt – reduziert.

 

Braucht man das für die Falllösung? Nein. Hilft das bei der täglichen Anwaltspraxis? Nein. Hilft es zum einem besseren  und tieferen Verständnis der Frage, wie Recht überhaupt entsteht und sich unsere Rechtswirklichkeit erklären lässt? Auf jeden Fall. Das Buch bereichert das Allgemeinwissen und regt zum Nachdenken an. Es ist nicht nur Juristen, sondern auch sonstigen, auch fachfremden Interessierten zu empfehlen. Es bietet einen philosophischen und zugleich historischen Streifzug durch die Stationen der Rechtsdeutung von der Antike bis heute und ist einfach interessant zu lesen. Der Verfasser macht es dem Leser nicht so einfach, dass eine Definition des Begriffs Recht vorgegeben und seine Entstehung erläutert wird. Vielmehr wird versucht, sich dem Begriff des Rechts durchaus negativ zu nähern über die Kritik, die über die Jahrhunderte und Epochen hindurch an ihm geübt wurde. Eine durchaus spannende Reise. Neu eingefügt wurde ein (wenn auch kurzes) Kapitel zum Thema „Recht und Religion“ mit seinem beistimmungspflichtigen Fazit, dass das moderne Recht der Religion gegenüber neutral sein muss.

 

Im zweiten Teil nimmt sich der Autor sodann verschiedenen Gerechtigkeitstheorien an und somit der Ethik des Rechts – denn Recht und Gerechtigkeit sind bekanntlich nicht immer dasselbe. Es wird der Frage nachgegangen, von welchen Einflüssen, Umständen und Prägungen außerhalb des geschriebenen Gesetzes das Recht abhängt und beeinflusst wird. Schließlich geht es auch um das Spannungsfeld zwischen Allgemeinwohl und Einzelwohl, eine Frage, die gerade in Zeiten eines in jeder Talkshow diskutierten und lamentierten Auseinanderfallens der Solidargemeinschaft hochaktuell ist.

 

Der Verfasser schafft es, schwierige philosophische Fragen und Theorien anschaulich in verständlicher Sprache darzulegen und dem Leser einen leichten Einstieg in die Materie zu ermöglichen. Dem hungrigen Leser werden die unzähligen vertiefenden Literaturhinweise weiterhelfen. Für Einsteiger genau das Richtige.

 

13.08.2010

 

 

Streck, Beruf: AnwaltAnwältin, 2. Auflage, C.H. Beck 2011

 

Michael Streck ist selbst Rechtsanwalt (zugleich Fachanwalt für Steuerrecht) und war von 1998 bis 2003 Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Seine Kenntnisse und Erfahrungen bezüglich der Erfordernisse des Anwaltsberufs hat er in das vorliegende Werk einfließen lassen. Was dabei am Ende herauskommt, ist ein flammendes Plädoyer für die Anwaltschaft ebenso wie eine durchaus mit kritischen Untertönen versehene Hymne auf den Anwaltsberuf. Zugleich entwirft der Autor – ohne Einzelprobleme abzuhandeln – ein detailliertes Anforderungsprofil des Anwalts, respektive der Anwältin (zu dieser Unterscheidung später mehr). Dabei orientiert er sich an den einzelnen fragmentarischen Mosaikstückchen der gesetzlichen Vorgaben der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Berufsordnung der Rechtsanwälte und versucht, über diese - Stück für Stück - ein komplettes Bild des Anwalts zusammenzusetzen.

 

Das Buch möchte, wie der Titel schon sagt, den Rechtsanwaltsberuf vorstellen und wendet sich daher an Studierende, Referendare und sonstige Interessierte. Nach der Lektüre des Werks ist man jedoch geneigt, das Buch vor allem auch  dem einen oder anderen Richter nahezulegen, um das Verständnis für die anwaltliche Profession aufzuhellen. Und auch manchem Anwalt würde es gewiss nicht schaden, sich des Profils der eigenen Tätigkeit mal wieder bewusst zu werden, welches im alltäglichen Wahnsinn des Jobs durchaus mal an Kontur verlieren kann. Wer aber gerade so mitten im Studium steckt und sich einfach mal informieren möchte, was die Anwaltsseite so mit sich bringt, der sollte hier unbedingt mal reinschauen. Dabei ist das Buch wirklich sehr gut und zügig zu lesen (nur 186 Seiten).

 

Der Autor spricht sicherlich vielen Kollegen aus dem Herzen, wenn er den Zeitgeist der Streitschlichtung und Mediation zu Recht angreift und feststellt, dass diese „einen Stellenwert einnehmen, der ihnen in der Relation zum Rechtsstreit nicht gebührt“ und der Anwalt diese natürlich nur dann will, „wenn dies dem Interesse des Mandanten nützt“. Oder wenn er klarstellt, dass „Richten etwas anderes ist als Beraten“ und dass Richter und Anwälte im Grunde kein gemeinsames Ziel im Gerichtssaal verfolgen. Ein Kernproblem ist auch, dass nach wie vor eine konkrete Ausbildung des Juristen zum Rechtsanwalt nicht gegeben ist, sondern sich die Ausbildung noch immer an der „Befähigung zum Richteramt“ orientiert, inklusive der Referendarsausbildung. Ein Missstand, mit dem sich die Anwaltschaft seit jeher herumschlagen muss. Der Verfasser beleuchtet so nach und nach die zahlreichen Facetten anwaltlicher Tätigkeit und zeigt auf, welches Selbstverständnis man hierbei entwickeln sollte. Wer also nicht weiß, ob der Job etwas für einen ist, findet hier vielleicht ein wenig Erleuchtung.

 

Zum Titel des Buchs sei übrigens angemerkt, dass der Autor diese Diktion im gesamten Werk beibehält und stets beide Geschlechtsbezeichnungen – Anwalt und Anwältin - im Text führt. Erst dies führe zu einer Gleichbehandlung der Geschlechter und die Verwendung nur der maskulinen Form stellt nach Auffassung des Autors eine Art Anachronismus dar. Da kann man geteilter Meinung sein. Letztlich ist das Geschmackssache und zunächst etwas anstrengend und unfreiwillig komisch beim Lesen, bis man merkt: der nimmt das wirklich ernst. Für Streck ist dies keine bloße Formalie, sondern Inhalt. Mit der Zeit nimmt man die verbale Differenzierung beim Lesen gar nicht mehr wahr. Das Buch hat Wichtigeres zu sagen als das. Zum Beispiel Folgendes: „Es ist nun einmal Pflicht und Aufgabe der Anwältin, unbotmäßig, unbequem zu sein, in Frage zu stellen, Verfahren aufrecht zu erhalten, frech, halsstarrig und widerborstig zu sein.“ Ein wahres Wort. (Hier wurde übrigens nur die weibliche Form verwendet. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.). Ein informatives und kurzweiliges Buch. Lesen.

 

26.06.2011

 

 

Fetchenhauer,
Psychologie, 1. Auflage, Vahlen, 2011

 

Das von Prof. Dr. Detlef Fetchenhauer verfasste Werk ist als Lehrbuch für Leute konzipiert, die Psychologie im Nebenfach studieren oder als Nachbardisziplin benötigen. Es wendet sich aber generell an alle, die sich für Psychologie interessieren, auch den fachfremden Laien. Es ist eine hervorragende, spannende und höchst informative Einstiegslektüre, die sprachlich so gehalten ist, dass man als durchschnittlich intelligenter Leser nicht auf der Strecke bleibt.

 

In insgesamt 19 Kapiteln führt das großformatige Buch auf ca. 450
Seiten in die Grundlagen der Psychologie ein. Der Autor hat gleich zu Beginn bereits im Vorwort die Güte, den Aufbau und die Arbeitsweise seines Werks zu erläutern, was beim Lernen durchaus hilfreich ist. Ein Service, den leider viel zu wenige Autoren anbieten. Die ersten vier Kapitel liefern Grundlagen zur Psychologie. Diese wird hier verstanden als Lehre vom Denken, Fühlen und Handeln des Menschen. Herausgearbeitet wird auch der interdisziplinäre Charakter dieser Wissenschaft. Kapitel 5 bis 7 grenzen Wissenschaft von Alltagswissen ab und offenbaren eines der grundlegenden Probleme der Psychologen: alles was sie zu erklären versuchen, müssen sie zunächst einmal sichtbar machen, denn sie referieren nahezu ausschließlich über innere Vorgänge. Die Kapitel 8 bis 10 gehen den persönlichen und kulturellen, sowie den geschlechtsspezifischen Faktoren des Verhaltens auf den Grund. Auch die Frage nach dem genetischen Einfluss auf das Verhalten bleibt nicht außen vor. Die Kapitel 11und 12 befassen sich mit der Frage, wie man gute Entscheidungen trifft, während die beiden nachfolgenden Abschnitte sich mit der Wahrnehmung der Welt befasst, d.h. letztlich mit der Frage, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen und wie dadurch unsere Umwelt
geprägt wird. In den Kapiteln 15 und 16 geht es um Einstellungen,
Vorurteile und Stereotypen und die letzten drei Kapitel geht es
darum, wie wiederum die Umwelt unser Verhalten beeinflusst.

 

Teile hiervon werden dem Juristen vielleicht bekannt vorkommen, wenn er sich im Studium mit Kriminologie im Neben- oder Wahlfach beschäftigt hat. So befasst sich Fetchenhauer z.B. auch mit dem Kriminalitätsfurchtparadoxon, d.h. mit der Tatsache, dass gerade diejenigen, die statistisch gesehen am häufigsten Opfer einer Gewalttat werden, am wenigsten Angst davor haben (in der Regel junge Männer) und diejenigen, die eher seltener Opfer einer solchen Tat sind, die größte Angst davor haben (in der Regel alte Menschen und junge Frauen). Hierfür findet der Autor – wie oft in seinem Werk – einen evolutionspsycholgischen Hintergrund. Er geht weiter der Frage nach, warum Menschen an Gott oder ein höheres Wesen glauben oder was hinter den Begriffen von Gut und Böse steckt.

 

Der Autor führt in die Begrifflichkeiten, wichtigsten Theorien,
Arbeitsweisen und Problemfelder der Psychologie so geschickt ein,
dass man einfach weiterlesen muss und ehe man sich versieht, ist man bereits mitten im Lernprozess und versteht z.B. warum ein negatives Verhalten durchaus „adaptiv“ für einen Menschen sein kann. Sehr viele der Psychologen und Wissenschaftler anderer Fachgebiete, die Fetchenhauer in seinem Werk zitiert oder im Fließtext behandelt, werden mit Lichtbild am Seitenrand kurz vorgestellt, darunter u.a. Freud, Pawlow, Milgram. Überhaupt ist das gesamte Werk, nicht nur in seiner Ausdrucksweise, sehr plastisch gestaltet, mit zahlreichen Lichtbildern und Abbildungen versehen. Am Ende eines jeden Kapitels erfolgt unter der Rubrik „kurz und gut“ eine Zusammenfassung des jeweiligen Lerninhalts sowie unter der lustigen Bezeichnung „Studentenfutter“ vertiefende Literaturhinweise.

 

Wer sich für das Thema interessiert, findet hier einen erfrischenden, unterhaltsamen und zugleich sehr lehrreichen Einstieg in die Materie. Die Lektüre macht Spaß und wenn der Autor im mündlichen Vortrag auch nur ansatzweise so viel Elan und Esprit walten lässt wie in Schriftform, so wird seine Vorlesung sicher jeden mitreißen. Ein tolles Buch. 

 

17.11.2011

 

 

 

Sternthal, Themse, Tod
und Tower, 1. Auflage, C. H. Beck, 2011

 

Einen Reiseführer der etwas anderen Art führt nun das Hause Beck. Die Autorin Barbara Sternthal ist Verfasserin diverser
Reiseführer, sowie Biografien über Gustav Klimt und Sigmund Freud. Mit dem jetzt herausgegebenen Guide führt sie den interessierten Leser auf 130 Seiten durch London. Auf ihrem Programm stehen jedoch keine Shopping-Touren, keine hippen Geschäfte, Lokale, Hotels oder Konsumtempel. Es geht beschaulicher und geschichtsträchtiger zu, eine Reise in die Vergangenheit erwartet den Leser.  Der Untertitel „Der London-Führer für Juristen“ ist dabei nicht bindend, gibt aber ein wenig die Gewichtung vor und sollte keinesfalls jemanden abschrecken. Der kleine Reiseführer ist hochinteressant und jedem historisch interessierten Londonbesucher sehr zu empfehlen, der auf
Spurensuche gehen möchte. 

 

Mit viel Liebe zum Detail lässt Sternthal in der ca. 30-seitigen
Einführung die Geschichte der Stadt Revue passieren, von den
legendenhaften Gründungsmythen, über die Römer, Kelten, Angeln und Sachsen, zu William dem Eroberer, Elisabeth I., durch das viktorianische London und das Zeitalter der Industrialisierung, die Weltkriege bis zu den Olympischen Spielen 2012. Zahlreiche Ereignisse und prägende Persönlichkeiten werden angerissen, soweit dies dem Umfang eines Reiseführers möglich ist. Das große Feuer 1666, die vorausgegangene Pestepidemie kommen ebenso zum Zuge wie die Beatles und Downing Street Nr. 10.

 

Der Detailreichtum setzt sich nach der Einführung fort. Es folgt der
eigentliche Reiseführeranteil, der sich ausgesuchten
Sehenswürdigkeiten widmet: Westminster Palace, Westminster Abbey und Tower of London. Diese werden mit sehr ausführlichen historischen Hintergrundinformationen unterlegt. Weitere interessante Anekdoten halten ständig die Neugierde des Lesers am rotieren. Die filmreife Geschichte des Guy Fawkes, dessen Gesicht heute jedem als Maske der Hacker-Gruppe Anonymous und Symbol der Occupy-Bewegung oder aus der Comic-Reihe „V wie Vendetta“ bekannt sein dürfte, wird ebenso erzählt wie die vom unrühmlichen Abgang des Lordprotectors Oliver Cromwell oder die des einzigen englischen Premierministers, der jemals Opfer eines Attentats wurde – Spencer Perceval (von dessen Schicksal es eine geniale Vertonung der aus Leeds stammenden Band iliketrains gibt).

 

Im nachfolgenden Teil erhält der Leser eine kleine Crash-Kurs-Einführung ins englische Rechtssystem und die Juristenausbildung, insbesondere die in Solicitors und Barristers geteilte Anwaltschaft. Keine Angst, hier wird niemand überfordert. Auch die Sache mit den Perücken wird erklärt. (Es gibt sie immer noch, die britischen Juristen halten an ihnen nach wie vor fest – und alles nur wegen Ludwig XIV!). Dieser dritte Teil führt den Leser und Stadtbesucher an ausgewählte historische Schauplätze des englischen Rechtssystems, wie z.B. die vier Inns Of Court, den wichtigen und traditionsreichen Ausbildungsstätten angehender Anwälte oder den Royal Courts of Justice und den Criminal Court of Justice (Old Bailey), den berühmten Strafgerichtshof. So nebenbei erfährt man, warum englische Polizisten ´Bobbies´genannt werden und woher Scotland Yard seinen Namen hat oder dass erst unter Tony Blair das britische Justizministerium gegründet worden ist.

 

Im letzten kurzen Teil gibt die Verfasserin ein paar Tipps zu besonderen Orten, die alle etwas mit echten oder fiktiven
Kriminalfällen in Verbindung gebracht werden. Etwa das zum Hotel
umfunktionierte Gericht Courthouse Doubletree Hilton, das Ten Bells, der Pub, in dem mindestens zwei der Jack The Ripper Opfer 1888 verkehrten, das berühmte London Dungeon und natürlich das Sherlock Holmes Museum. Auch das London Harry Potters findet Erwähnung. Ein für ein so kleines Buch umfangreiches Personenregister und eine kurze Bibliografie runden das Ganze ab und geben weiterführende Literaturhinweise.

 

Ein wirklich lesenswerter und ebenso aufschlussreicher wie unterhaltsamer Begleiter durch diese höchst geschichtsträchtige
Stadt.

 

 

13.12.2011

 

 





Ortsverzeichnis 2013, 29. Auflage, Deutscher Anwaltverlag 2013

 
 

 

Wie rezensiert man ein Ortsverzeichnis? Und warum sollte man so etwas überhaupt tun? Ist doch auf den ersten Blick im Grunde nur ein besseres, spezialisiertes Telefonbuch. Zu einem solchen schreibt man ja auch nicht: „übersichtlich, aber vorhersehbar“. Wozu ein derartiges Printmedium erstehen, wenn man doch alle Anschriften im Internet bequem googeln kann?

 

Das Ortsverzeichnis für Gerichte, Finanz- und Kommunalbehörden bietet aber mehr als nur Adressen, Telefon- und Faxnummern. Hier werden nicht nur Anschriften, sondern Informationen geliefert, insbesondere zu örtlichen Zuständigkeiten, was gerade, aber nicht nur, für die anwaltliche Praxis von erheblicher Bedeutung ist. Zunächst werden erst einmal alle eigenständigen politischen Gemeinden der Republik alphabetisch aufgelistet. Bereits dieser einsteigenden Übersicht kann man Postleitzahl, zugehöriges Bundesland, Verwaltungseinheit, sowie das zuständige Amtsgericht und Finanzamt auf einen Blick entnehmen. Diese Informationen mit einem einzigen Klick im Internet aufzutreiben wird in den meisten Fällen nicht gelingen. Die begehrten Infos muss man sich nämlich auch im Internet mühsam mittels Durchklicken zusammensuchen, im Zweifel noch herumtelefonieren.

 

 

Hat man in dieser ersten Liste die gesuchte Gemeinde gefunden, so sind dort direkt die Seitenzahlen abgedruckt, die man zur weiteren Detailinformation aufschlagen muss. Einfach und übersichtlich. Für eingemeindete Orte und Straßenausnahmelisten, die eine örtlich andere Zuständigkeit innerhalb der gleichen Gemeinde begründen, ist eine eigene Liste vorgehalten.

 

 

Es folgen die Anschriften der Amtsgerichte inklusive Telefon, Fax, E-Mail-Adresse, Internetseite, zugehöriger LJK, Kontonummer und den jeweils zuständigen LGs, OLGs, Insolvenzgerichten und Fachgerichten, sämtlich mit weiterem Seitenverweis. Auch die jeweils zuständigen Registergerichte sind gelistet. LGs, OLGs, Insolvenzgerichte, Fachgerichte, Bundesgerichte, Finanzämter, Verwaltungen (Gemeinde- und Kreisverwaltungen) sind alle in gesonderten Abteilungen aufgelistet und durch die vorherigen Seitenverweise wirklich leicht und schnell aufzufinden.

 

 

Die korrekte Anschrift oder Faxnummer ist für die anwaltliche Praxis von erheblicher Bedeutung, gerade wenn es um die fristwahrende Einreichung von Schriftsätzen geht. So muss der Anwalt etwa Faxnummern anhand eines „zuverlässigen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle“ ermitteln (BGH 7.11.2012 – IV ZB 20/12).

 

Auf die Information der Telefonauskunft darf sich der Anwalt hierbei ohnehin nicht verlassen. Deren Auskunft ist zu überprüfen, alleine auf die mündliche Auskunft darf sich der Anwalt nicht verlassen (BGH 26.5.1994 – III Z 35/93). Im Verhältnis zu anderen Recherchemethoden via Internet ist ebenfalls Vorsicht geboten. Entnimmt ein Anwaltsbüro für die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes die Telefaxnummer des Rechtsmittelgerichts dem Verzeichnis einer Internetsuchmaschine (hier: Google Maps) und keinem amtlichen Verzeichnis, liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, wenn eine Fehlsendung erfolgt und dies dem versendenden Büro nicht bei der Ausgangskontrolle aufgefallen ist; eine Wiedereinsetzung ist dann nicht zu gewähren (OLG Hamm 31.5.2007 – 2 UF 11/07). Die einer Kanzleiangestellten jedoch erteilte Weisung, die in einer Berufungsschrift angegebene Faxnummer des Berufungsgerichts noch einmal zu überprüfen, reicht in Verbindung mit der in einer Rechtsanwaltskanzlei bestehenden allgemeinen Weisung, zur Ermittlung der Telefaxnummer des zuständigen Gerichts das Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ zu verwenden, aus, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufzudecken. Es ist dann ausnahmsweise nicht erforderlich, die Faxnummer nach dem Absenden des Schriftsatzes nochmals anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen (BGH 4.2.2010 – I ZB 3/09).

 

 

Es sprechen daher bereits haftungsrechtliche Gründe dafür, zum amtlichen Ortsverzeichnis zu greifen. Das Ortsverzeichnis 2013 bringt alles auf den aktuellen Stand und stellt im Grunde ein unverzichtbares Arbeitsmaterial dar, das jedenfalls in keiner juristischen Arbeitseinheit – ganz gleich, ob Kanzlei, Notariat, Gericht oder Behörde - fehlen sollte.



18.01.2013